
Die Selbsthilfe-Gruppe. Bänd aus Verzweiflung
Nein, sie sind keine Selbsthilfegruppe, sie sind Die Selbsthilfe-Gruppe, mit Artikel und Bindestrich, weil es sich ja um eine Musikkapelle handelt. Zusammengefunden haben sich die sieben Mann ab 2014 im Keller des Limburgerhofer Jazzposaunisten Bernhard Vanecek, um mal etwas anderes zu tun, als immer bloß zu funktionieren. Ein wenig Widerstand gegen das Getriebe der Welt, den Alltag, die Routinen. Widerstand ist zwecklos. Aber möglich. Weshalb die Bänd aus Verzweiflung alles andere als verzweifelt ist.
Diesen Spaß am Leben versuchen sie weiterzureichen an die, die ihnen zuhören. Das kann auf der Rheinbrücke nach Mannheim sein, wo sie für die Pendler im Stau gespielt haben. Oder auf der Demo. Oder auf dem Straßenfest, wo sie früher mit dem Leiterwagen und ohne Lizenz durchgezogen sind, um schnell verschwinden zu können, wenn die Ordner kamen. Von ihren Anfängen her ist Die Selbsthilfe-Gruppe eine Straßenköter-Band – die einzige, die Katzenmusik macht.
Die Musik ist manchmal über 100 Jahre alt. Sie stammt dann von amerikanischen Jug-Bands, Feierabend-Gruppen, die sich nach einem harten Tag zusammenfanden und auf dem spielten, was sie hatten: Waschbrett, Mundharmonika, Besenstiel, Banjo, Fiddel, Trommel und der Krug mit dem selbstgebrannten Whiskey – der Jug. Einmal in der Woche sieht sich auch Die Selbsthilfe-Gruppe. Und bringt mit, was sie hat: Ukulelen, Posaunen, Schlagzeug, Bass. Eine Orchestrierung, die Wildwuchs ist wie die Band – die immer weiter wuchert in ihren musikalischen Stilen und Richtungen, die das macht, was sie gut findet. Und die schon immer auch eigene Texte schreibt und eigene Songs.
Die Selbsthilfe-Gruppe ist eine anarchische Familie, die manchmal hart diskutiert, aber sich immer wieder findet. Keiner kann ohne den anderen. Das macht den Zusammenklang des Nichtperfekten aus. Das ist es, was hinter dem Geheimnis steckt, wie etwas zusammenpassen kann, wo doch jeder seiner eigenen inneren Art folgt. Diese Widerständigkeit des Zusammengewachsenen lässt das Ganze leben, atmen, echt sein.
Bernhard Vanecek ist der Mann für die Harmonien, Takte, Formen; der Mann, in dem das Herz der Band brennt und der es als ursprünglich klassischer Musiker ganz besonders genießt, dass eine Band etwas anderes ist als eine zwanghaft autistische Philharmonie. Wolle Steiner und seine Ukulele finden die Bluegrass-Traditionals. Pierre Fournier, die andere Ukulele, bringt Stücke aus seiner französischen Heimat mit. Der Amerikaner Sir William Dwight Ledbetter II. und Posaune Nummer zwei ist die schräge Stimme der Selbsthilfe-Gruppe. Sebastian Diehm am Bass und Rainer Kircher hinterm Schlagzeug sind das bockende Rückgrat. Die Harp und der handgemachte Krach von Christian Gruber färben den Sound dreckig, wie er sein muss.
Die Selbsthilfe-Gruppe ist ein Miteinander und Füreinander. Das gilt nicht nur für die Band, das gilt auch für das Publikum. Die Kraft der Musik, sie sollen die Zuschauer spüren. In kleineren Theatern lädt Die Selbsthilfe-Gruppe zu einer satirischen Therapiesitzung ein, in der jedes Bandmitglied seine Neurosen kuriert und aus dem Parkett auf die Bühne darf, wer sich traut. Dazu gibt es Whisky – schottischen, ohne „e“. In der Pause zieht man sich nicht in die Garderobe zurück, sondern stellt sich zu den Leuten. Gespräche, Begegnungen, Anregungen, Austausch, darum geht es. Auf der Bühne, vor der Bühne. Immer wieder gibt es deshalb Konzerte mit befreundeten Musikern aller Kulturen und Richtungen. Und immer wieder sind deshalb Menschen mit Behinderungen bei den Auftritten dabei. Für den Zusammenklang des Nichtperfekten.
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